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Inmitten von Fragilität und Intensität

Über die Faszination und Gegenwärtigkeit Neuer Musik. Besuche zeitgenössischer Konzerte, an denen einem kleinen, ausgewählten Publikum insbesondere mit Uraufführungen ‹Unerhörtes› zuteil wird, versetzen mich einerseits in eine Faszination ob dieser neu geschöpften Klänge, gleichzeitig verwundert es mich, wieso diese Einzigartigkeit nicht Zuspruch und Interesse vieler Menschen entfacht.


Die jährliche Verleihung des Ernst-von-Siemens-Musikpreises, mit dem Komponisten und Interpreten für ihr Engagement für Neue Musik geehrt werden, bildet eine Ausnahme. Dieses Jahr erhält die in Berlin lebende britische Komponistin Rebecca Saunders die hoch dotierte Auszeichnung. Für einen Augenblick blitzt mediale Aufmerksamkeit für das Schaffen einer Frau auf, das sich meist der Wahrnehmung einer breiten Öffentlichkeit entzieht.

Weshalb lohnt es sich, ihr zuzuhören?

Rebecca Saunders’ Anspruch an jede Komposition ist es, eine «komplett neue Frage zu stellen», sich «mit dem Unbekannten zu konfrontieren».(1) Dadurch verlässt sie in Auseinandersetzung mit den klanglichen Möglichkeiten eines Instruments die Oberfläche des Klangs. Beispielsweise in ihrem Werk ‹blaauw› für Doppeltrichtertrompete werden Nuancen hörbar, die brillant und akribisch erforscht sind und dennoch fern von jeglicher kompositorischen Obsession für sich stehen können. Aus der Ungewohntheit neuer Klangphänomene heraus konturiert sich dank ihrer forschenden Klangsprache Einzigartiges heraus, dem zuzuhören sich lohnt.

Und dennoch, Neue Musik fordert heraus. Einmal dadurch, dass ich hörend dem Klangkosmos des Komponisten oder Interpreten ausgeliefert bin und diese Offenheit aushalten muss. Nicht jede Komposition geht achtsam mit dem ästhetischen Hörmoment um, das ermöglicht, zuhörend des Klangs und des dazugehörigen Hörens bewusst zu werden. Ein obsessives Dröhnen gleicht dann einer akustischen Gewalttat. Dennoch gibt es ausreichend Komponistinnen und Komponisten, die wie Rebecca Saunders Schätze ästhetischer Hörerfahrung bergen und ermöglichen. Sie zeigen, dass der Übergang eines neuen Hörens – oder auch eines Hörens neuer Musik – sich in uns ereignet. Mit Helmut Lachenmann, einem der herausragenden Komponisten des 20. Jahrhunderts, gesprochen, ist es ein Nachdenken, das über eine rationale oder diskursive Auseinandersetzung hinausgeht: «indem es in uns ‹arbeitet›, sodass unser schöpferisches Handeln von innen heraus darauf [auf die Musik] bewusst machend reagiert. Nachdenken also nicht bloß mit Begriffen, sondern mit dem ganzen physischen und psychischen Sensorium.» (2)

Die Herausforderung Neuer Musik ist die Möglichkeit, Physisches und Metaphysisches ob ihres Zusammenklangs zu erleben. Bei Rebecca Saunders bestimmen Fragilität und Intensität unsere Hörerfahrung und verweisen in ihrer faszinierenden Gleichzeitigkeit auf eine Stille «wie die Leinwand hinter dem Klang» (Rebecca Saunders). (3)


(1) www.br.de/mediathek/podcast/klassik-aktuell/ernst-von-siemens-musikpreis-2019-preistraegerin-rebecca-saunders-im-portraet/1425940, abgerufen am 19.2.2019.
(2) Helmut Lachenmann, Herausforderung an das Hören, in: ders., Musik als existentielle Erfahrung, Wiesbaden 2004, S. 355
(3) www.nzz.ch/feuilleton/hinter-dem-klang-die-komponistin-rebecca-saunders-erhaelt-den-ernst-von-siemens-musikpreis-ld.1452068, abgerufen am 19.2.2019.

Foto: Rebecca Saunders

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