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Name und Wirklichkeit

Reflexion und Rezension zum Buch von Helmut Zander, ‹Die Anthroposophie. Rudolf Steiners Ideen zwischen Esoterik, Weleda, Demeter und Waldorfpädagogik›


Ein Symptom für das Wirken sogenannter geistiger Widersachermächte ist es, mit gleichsam ahrimanischem Kalkül und kalter, vorausplanender Raffinesse eine Situation zu schaffen, in der etwas Gutes und Berechtigtes kompromittiert wird und sozusagen seine Unschuld verliert. Die Situation wird dadurch herbeigeführt, dass jenes Gute und Berechtigte – sei es eine Kritik an etwas, sei es ein Ideal oder ein Ziel – forciert in einer Gestalt auftritt, die Zeitgenossen abstößt, statt sie zu überzeugen. Eine hitzig-luziferische Erregbarkeit und Empfindlichkeit entsteht, sobald bestimmte Reizbegriffe auch nur geäußert oder bestimmte Haltungen eingenommen werden. Dies wirkt derart toxisch, dass in der Folge das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird: Das Wertvolle und Berechtigte an einer Sache wird mit in den Abgrund gerissen, der sich zwischen Sendern und Empfängern – man könnte auch sagen: Engeln und Menschen – durch das Wirken jener Mächte auftut. (Beispielsweise ist es nicht leicht, sich unbefangen über das ‹Deutsche› auszutauschen, weil der Begriff historisch belastet ist. Eine in Tonfall und Argumentation mehrheitlich grobschlächtige Gruppierung wie die AfD stößt mit ihrem Programm in dieses Vakuum. Unabhängig davon, wie man persönlich zur Frage des ‹Deutschen› steht, erklärt dies, spirituell gesehen, einen Großteil der Resonanz dieser Partei.)

Bezogen auf die Anthroposophie als Weltanschauung ist die Wirkungsweise jener Mächte und Kräfte noch komplexer. Außerdem kommt hinzu, dass man selber als Mensch immer auch der Schauplatz und Referenzpunkt ihres Wirkens ist.

Als ich Anfang der Nullerjahre als Dramatiker, der dabei war, sich einen Namen zu machen (wie es immer so sonderbar heißt), mich zur gleichen Zeit zur Anthroposophie bekannte und arglos (das heißt, nicht unter Pseudonym) entsprechende Artikel publizierte, bedachte ich nicht, dass damit der eigene Name durch die Digitalisierung, die bald darauf einsetzte, ‹verbrannt› sein würde. Innerhalb der Theaterszene kursierte fortan das Gerücht, ich sei in einer Sekte, weil ich am Priesterseminar der Christengemeinschaft studierte. Dabei könnte man den Literaturbetrieb, wo schließlich auch nur jeder seine Macht und seine Kontakte spielen lässt, in einem viel eigentlicheren Sinne als Sekte bezeichnen. Bis heute gehen Verleger, die sich für ein Manuskript interessiert hatten, wenn sie beim Googeln des Namens auf ihnen befremdlich erscheinende Kontexte stoßen, auf Distanz.

Nachdem mir dann im spirituellen Milieu die gleiche moralische Korrektheitserwartung begegnete, wie sie mir im Kulturbetrieb entgegenkam – Vorurteile oder besser Vor-Bilder, die hier wie dort ‹kultiviert› wurden und denen man, bei aller Betonung der ‹Individualität›, zumindest annäherungsweise zu entsprechen hatte – und ich diese Beobachtungen publizierte und zur Diskussion stellte (inklusive der Diskussion mit mir selbst), wurde mein Name nun auch dort zu einem Politikum: Zu Beginn schien ich mich zu ‹luziferisch› – zu naiv, zu begeistert, zu verklärend – mit der anthroposophischen Bewegung verbunden zu haben, und dann schien ich mich zu ‹ahrimanisch› – zu zynisch, zu effektvoll, zu intellektualistisch – wieder von dieser Verbindung gelöst zu haben.

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Jeder Mensch erfährt, dass die Art, wie andere Menschen ihn sehen, beflügelt oder lähmt. Wie ich jemanden verstehe oder missverstehe, anerkenne oder verkenne, hat nachhaltige Auswirkungen auf sein Selbsterleben und sein tatsächliches In-der-Welt-Stehen.
— Bodo von Plato, Erkenntnis ist Teilnahme, Schicksal und Weltgeschehen, Goetheanum 21/2019

In der Verbindung war jedoch – meinem eigenen Erleben oder zumindest meinem Meinen nach – immer auch schon Distanz gewesen (der Vorsatz, Verbundenheit nicht mit Blindheit zu verwechseln), und in der Loslösung blieb für mich immer die Nähe enthalten (die sich als geistig-existenzielle Beziehung zu Rudolf Steiner meinem Karma unauslöschlich eingebrannt hatte).

In jenem Buch nahm ich Abschied von einer fatalen Überprägung des in meinen Augen Wesentlichen durch Rituale eines gruppenhaften Selbstverständnisses, Rituale, in denen ich mich selber – das Buch war insofern auch der Versuch einer Analyse der eigenen Grenzen und Unwahrhaftigkeiten gewesen – so verstrickt und auch verloren hatte, dass ich mein Sein nicht mehr fühlte, den Anteil eines Mitgebrachten, in welchem dieses Ich zuallererst Literat, Dichter, Künstler, in welchem es freier Geist und Schriftsteller gewesen war.

Mein Name jedoch wurde im Zuge dessen in der Vorstellung nicht aller, aber vieler Mitglieder der ‹Szene› selber zu einer ‹Macht› und repräsentierte fortan einen ‹Widersacher› oder bestenfalls einen ‹tragischen Fall›. Ohne dass man einander je persönlich kennengelernt hätte, kursierten der Ruf eines ‹Rebellen› sowie interne Sprachregelungen, und umso verwunderter reagierte dann der ein oder andere, wenn ihm in der zufälligen Begegnung und unmittelbaren Wahrnehmung – etwa bei Veranstaltungen, im Gespräch – etwas ganz anderes entgegenkam. Doch hatte ich in meinem Text eben auch selber selektiv verfahren müssen. Ich nahm in Kauf, dass sich ein ‹ungerechtes› Bild (etwa der Christengemeinschaft) kolportierte. Die Zuspitzung diente der Selbsterkenntnis der Bewegung. Dass ich mich mit meiner Person zur Zielscheibe machte, schützte und entlastete die scheinbar bloßgestellte Gemeinschaft letztlich. Der Lauf der Dinge hat dann, nicht nur meiner Beobachtung nach, die Prognosen jener Publikation eher noch übertroffen.

Das zu Verstehende muss gelebt werden, um sich zu enthüllen

So weit die Vergangenheit. Sie ruhte, bis ich von der Redaktion überraschend gefragt wurde, ob ich das o. g. Buch rezensieren könne. Dass darin ein Religionswissenschaftler, der dabei noch nicht einmal sonderlich wissenschaftlich vorgeht, die acht Jahre alte und mittelprächtig verkaufte Veröffentlichung häufig zitiert, erstaunte mich (und auch wieder nicht). Natürlich stand aufgrund dessen zumindest eine ‹klassische› Rezension bald wieder infrage. Dieser Beitrag ist nun der Versuch, symptomatisch darauf zu blicken (statt nur persönlich) und zugleich von der Zukunft her (und darin doch ‹zwischenmenschlich›).

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Ich möchte diesen – auch im guten Sinne – kindlichen Wissenschaftler nicht abstoßen. Ich will nicht sein Kronzeuge sein und nicht sein Verräter. Ich möchte nicht gemeinsame Sache mit ihm machen und wünschte dennoch gerade dieser ‹gemeinsamen Sache›, der Sache des Menschen, dass sein Werk statt der üblichen Reflexe eine Dynamik bei allen Beteiligten erzeugt, denn nur hier würde ein zukünftiger Frieden wurzeln können, und nicht in den ewigen Schlachten der Vergangenheit.

Der Ton von Helmut Zander stößt mich ab. Er erinnert mich an mich selbst und er sagt mir nichts Neues, er regt mich nicht an, auch nicht auf, er bestätigt mich vielleicht hier und da oder meint, er täte dies. Sein Werk zielt erkennbar auf die Augenhöhe mit Zeitgenossen ab. Ich bin nicht sicher, ob der Autor das Wesen der Anthroposophie als Geisteswissenschaft wirklich von innen her begriffen und ob er die Eigenart der Individualität Rudolf Steiners wirklich erfasst hat. Aber es wäre ja immerhin möglich, dass dies zu einem späteren Zeitpunkt eintritt. Ich kenne den Menschen nicht, der mich dort zitiert, und habe ihn lediglich einmal auf YouTube in einem längeren philosophischen TV-Gespräch erleben können. Er wirkt auf mich auf eine bestimmte Weise wie ein selbstbewusstes Kind, das eine Sache gleichzeitig äußerlich untersuchen und innerlich begreifen will, ein Kind, das nicht ‹versteht›, dass das zu Verstehende, um sich zu enthüllen, gelebt werden will. Ich möchte diesen – auch im guten Sinne – kindlichen Wissenschaftler nicht abstoßen (oder abhaken), weder durch kühle Distanz noch durch vorschnelle Nähe. Ich will nicht sein Kronzeuge sein und nicht sein Verräter. Ich möchte nicht gemeinsame Sache mit ihm machen und wünschte dennoch gerade dieser, der ‹gemeinsamen Sache›, der Sache des Menschen nämlich, dass sein Werk statt der üblichen Reflexe eine soziale, transbiografische Dynamik bei allen Beteiligten erzeugt, denn nur hier würde ein zukünftiger Frieden wurzeln können, und nicht in den ewig gleichen Schlachten der Vergangenheit.

Hinter den scheinbaren Symptomen stecken oft ganz andere Symptome, in den Kernen stecken manchmal Hüllen und in den Nebensachen Ur-Sachen, und manchmal gibt es, wie Oscar Wilde einmal schrieb, nichts Wahreres als die Oberfläche. Mein Buch wurde damals mein Schicksal – und befreite mich gleichzeitig neu zu mir selbst. Zanders Ton hat auch Berechtigung. Auch dass er einen heranzieht, ist nicht illegitim; man kann sein eigenes Schreiben nicht verraten. Zugleich verfällt Zander jenem Irrtum, dem die feuilletonistische oder akademische Öffentlichkeit in Bezug auf das Rätsel Anthroposophie und auch auf das Rätsel Rudolf Steiner immer wieder verfällt: nämlich bei dessen Beschreibung und erst recht Bewertung Kriterien anzuwenden, die nicht aus dem Rätsel selber gewonnen, sondern in es hineingelegt, an es von außen angelegt werden. Und so rätseltief ist – in meinen Augen – auch der Mensch, ein jeder und eine jede. So ist – für mich – die Anthroposophie: etwas im Sich-Verändern Wirkendes, etwas nur als Veränderndes Wirkliches. «Und wenn die Zeit geht und du merkst, wie dein Name herumkommt unter den Leuten, nimm ihn nicht ernster als alles, was du in ihrem Munde findest. Denk: er ist schlecht geworden, und tu ihn ab. Nimm einen andern an, irgendeinen, damit Gott dich rufen kann in der Nacht. Und verbirg ihn vor allen.» (Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge)


Helmut Zander, Die Anthroposophie, Rudolf Steiners Idee zwischen Esoterik, Weleda, Demeter und Waldorfpädagogik, Verlag: Schöningh, 2019

Foto: Brandi Redd

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