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Zuschriften zu: Gibt es eine anthroposophische Kunst?

Zuschriften von Andreas Mäckler, Heide Nixdorff, Karlheinz Flau und Caroline Chanter zu ‹Gibt es eine anthroposophische Kunst?› von Stephan Stockmar in: ‹Goetheanum› Nr. 47/2018 und eine Antwort von Stephan Stockmar.


Selbst wenn der Begriff offenbar immer noch umstritten bleibt, sind Rudolf Steiners Impulse zum künstlerischen Schaffen unbestritten.

[…] Als ich vor rund dreißig Jahren über ‹Die Farbentheorie und Malpraxis der Anthroposophie› promovierte und 1990 den Band ‹Anthroposophie und Malerei – Gespräche mit 17 Künstlern› (und drei Kunsthistorikern) zusammenstellte, ging es mir mehr darum, Rudolf Steiners Impulse zur Kunst – speziell zur Malerei – in den Kanon der allgemeinen Kunstgeschichte zu integrieren. Als dann 2011 im Jubiläumsjahr ‹150 Jahre Rudolf Steiner› die großen Ausstellungen ‹Kosmos Rudolf Steiner› sowie ‹Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags› mit umfangreichen Katalogen präsentiert wurden, sah ich diese Entwicklung auf einem guten Weg, den Reinhold J. Fäth als Co-Kurator der Ausstellung ‹Aenigma – Hundert Jahre anthroposophische Kunst› (2015) bewundernswert fortgesetzt hat. In seinem Katalogbeitrag ‹Sternbild Aenigma – Disdefinierte anthroposophische Kunst› zeichnet er die Begriffsgeschichte dieser ‹anthroposophischen Kunst› ausführlich nach. Selbst wenn der Begriff offenbar immer noch umstritten bleibt, sind Rudolf Steiners Impulse zum künstlerischen Schaffen unbestritten. Ich wünschte den Künstlern und Kunstwerken, die diesen Impuls aufgenommen haben, also eine größere öffentliche Aufmerksamkeit, ein eigenes Museum und mindestens einen universitären Lehrstuhl mit gut dotierter Forschungsstelle. Wie diese Institute dann heißen sollen, sei zweitrangig – letztlich geht es weniger um Worte und Begriffe als vielmehr darum, was daraus in 100 Jahren geschaffen wurde, und da halte ich die Kunstwerke aus dem Umfeld der Anthroposophie immer noch für entdeckenswert, gleichwie man sie stilistisch bezeichnet. ANDREAS MÄCKLER

Hat Rudolf Steiner keinen Paradigmenwechsel herbeigeführt?

[…] Stellt ‹anthroposophische Kunst› eine einschränkende Begrifflichkeit dar? Kann sie in die willkürlich zusammengestellten Rubriken wie ‹spirituelle Kunst›, ‹weibliche Kunst› usw. eingereiht werden? Will anthroposophische Kunst, wie Steiner sie aus seiner Geisteswissenschaft entwickelte, nicht vielmehr Vorreiter einer neuen Gesinnung sein? Nicht Förderer sein einer gesteigerten ‹Wahr-Nehmung› durch Einfühlung, die nicht nur das Treffende einer Sache oder eines Vorgangs, sondern auch deren Güte erfahren lässt? (Eine Qualität, die viele Künstler und Designer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts suchten.) Dadurch bilde sich, so Steiner, erst ein neuer ‹Schönheitssinn›, den auszubilden er Künstlern und vor allem auch Pädagogen sehr ans Herz legte (Rudolf Steiner, Dornach 5.1.1922, ga 303). Ist es nicht diese Instanz, die einem ästhetischen Urteil, was anthroposophische Kunst sei, zugrunde liegen könnte? Bleibt damit die Kunst wirklich das, was sie zu Anfang des 20. Jahrhunderts war? Hat Rudolf Steiner keinen Paradigmenwechsel herbeigeführt? Den Begriff des Stils (anthroposophischer Stil) meide ich allerdings auch, weil er sich an der Erscheinungsform orientiert und zu sehr zeitgebunden ist. Ein durch Anthroposophie geschulter Mensch kann vermutlich aber noch ungeahnte Kunstformen hervorbringen. HEIDE NIXDORFF

Die Kunst ist frei – doch diese Freiheit ist oft nur Schein und Willkür.

Reinhold Fäth, der von [Stefan Stockmar] kurz erwähnt wird, vertritt in den von ihm initiierten Ausstellungen und Veröffentlichungen eine zu Stockmar gegenteilige Ansicht; es gibt [anthroposophische Kunst] und das schon seit über hundert Jahren, nur wurde sie vom offiziellen Kunstbetrieb und auch vielen Anthroposophen ignoriert, nicht wahrgenommen. Rudolf Steiner selbst prägte diesen Begriff: «Anthroposophie und die von ihr getragene anthroposophische Kunst» (Fäth, Aenigma-Katalog, S. 15). So viel in aller Kürze zum Stand der Dinge. Ich komme heute, angesichts der Entwicklungen, vor allem des äußeren Erscheinungsbilds unserer Printmedien und oft auch anderer künstlerischer Disziplinen, eher zu der Ansicht: Es gab eine anthroposophische Kunst. Statt Trendsetter zu sein, folgen wir eher den Trends. Ein völlig neuer, mächtiger Impuls, ein Strom des Lebendig-Organischen, trat durch Rudolf Steiner in die Welt, der, von den beiden Weltkriegen jäh gestoppt, noch einige Jahrzehnte reduziert weiterfloss und heute wie ein dünnes Rinnsal, eben seit 100 Jahren, weiterrinnt und ständig ganz zu versiegen droht. Marianne Schubert, Leiterin der Sektion für bildende Künste, hat eine Art Bestandsaufnahme initiiert, indem sie alle Künstler und Künstlerinnen, die aus anthroposophischen Impulsen mehr oder weniger schaffen, einlud, doch einige Arbeiten zu schicken, und war überrascht über die Vielfalt der Richtungen und Stile, in denen u. a. das gesamte Spektrum des heutigen Kunstschaffens erscheint. Die Kunst ist frei – doch diese Freiheit ist oft nur Schein und Willkür. Man muss die Wege Goethes und Steiners gehen, um von dort aus authentisch weiterarbeiten zu können. Doch das ist mühsam und wenig spektakulär. Der Künstler muss Wissenschaftler, der Wissenschaftler Künstler werden! Es geht um die Aufgabe des fünften nachatlantischen Kulturzeitraums, Pflanzenerkenntnis zu erwerben, die Gestaltbildekräfte, den Organismusgedanken bis ins Soziale hinein zur Offenbarung zu bringen. Und das ist die Offenbarung des Christlichen, die Sphäre, in der der Christus lebt. Eine ‹christliche Kunst› wird es sein, natürlich nicht im alten Sinne, um die der Kampf um das Lebendige und Kommende entbrennen wird: «An solchen Dingen zeigt sich eben das starke Zusammenstoßen zwischen dem Alten und dem Neuen, und sicher wird es sogar die Kunst sein, auf deren Boden sich die gewaltigen Kämpfe abspielen müssen.» (Rudolf Steiner, GA 192) KARLHEINZ FLAU

Die anthroposophische Kunst hat kaum begonnen …

[…] für mich gibt es nur eine Möglichkeit, um mich dieser Frage in ihrer Tiefe zu nähern, und das ist direkt zu der Quelle zu gehen – zu Rudolf Steiner. In seinen Vorträgen und Schriften findet man unzählige Gedanken zu der Frage ‹Kunst›. Da findet man nicht nur Antworten, sondern auch die Beweise (wenn man die braucht), dass eine neue Kunst durch ihn selbst ins Leben gerufen wurde, und dies gehört innig und untrennbar zur Anthroposophie. Dies ist die anthroposophische Kunst. Und es geht weiter; es ist nicht Rudolf Steiners ‹persönlicher› Wunsch oder sein Bedürfnis, eine neue Kunst zu schaffen. In ‹Kunst im Lichte der Mysterienweisheit› (Technik und Kunst, 28.12.1914) spricht Steiner über die neue Kunst, die er selbst inauguriert hat: «Das sind Dinge, die nicht willkürlich erzeugt werden von der Menschenseele, sondern die zusammenhängen mit den innersten Impulsen, die wir durchzumachen haben, indem wir im ersten Drittel der fünften nachatlantischen Kulturepoche stehen. Das wird uns gleichsam vorgeschrieben von den geistigen Wesenheiten, die diese Entwicklung leiten.» Man kann leicht in vielen letzten Endes abwegigen Richtungen suchen, wenn man die neue Kunst in diese umfassende geistige Dimension nicht einbezieht.

Man findet die neue Kunst nicht in den Galerien der Welt, auch nicht auf den Leinwänden der bedeutungsvollen Künstler der letzten und dieses Jahrhunderts. Warum? Die anthroposophische Kunst hat kaum begonnen, weil eine echte Vertiefung in das, was Rudolf Steiner gegeben hat, sowie die Einbeziehung dessen in individuelles Kunstschaffen bis jetzt zu wenig stattfinden konnten. Und weiter im selben Vortrag sagt Steiner in Bezug auf die Unvollkommenheit ‹seiner› neuen Kunst: «Denn alles, was als ein Neues in die Welt eintritt, ist unvollkommen gegenüber dem, was als Altes fortbesteht. Das Alte lebt als höchste Stufe und das Neue ist noch in den Kinderschuhen. Das ist ganz selbstverständlich.» Und schließlich muss auch Vertrauen in Rudolf Steiner selbst und sein künstlerisches Genie wachsen – dann hätten wir langsam eine echte neue Kunst, eine anthroposophische Kunst. CAROLINE CHANTER


Antwort des Autors

Ein Paradigmenwechsel im Sinne Steiners kann ja nur ein individuell in Geistesgegenwart errungener sein.

Natürlich handelt es sich um ein sehr komplexes Thema, auf das ich keineswegs eine einfache Antwort geben will. Das geht meines Erachtens aus dem zweiten Teil des Artikels hervor, in dem ich auf die zunächst sehr verschiedenen Ansätze schaue, mit denen Steiner sein künstlerisches Anliegen verfolgt. Ich stoße immer wieder auf das Phänomen, dass der Begriff ‹anthroposophische Kunst› vor allen Dingen an den Kunstimpuls des Ersten Goetheanum anknüpft, an dessen architektonischen, plastischen und malerischen Gestaltungen. Die ‹Radikalmetamorphose› bis in den inneren Ansatz hinein, die Rudolf Steiner zum zweiten Goetheanum geleistet hat, wird oft nicht mitvollzogen, weder aufseiten der Künstler noch aufseiten der anthroposophischen Kunstwissenschaftler. Zum Beispiel sieht Reinhold Fäth in seinem Beitrag ‹Zur evolutionären Rolle der Kunst für eine humane Zukunft› in der jüngsten Ausgabe des ‹Stil› im Ersten Goetheanum ‹das herausragende Beispiel konsequenter Umsetzung des steinerschen Baugedankens› und schließt daran seine weiteren Betrachtungen an. Zum zweiten Goetheanum dagegen kommt lediglich die Bemerkung, dass man dort viel Malerei an die Wände hängen könne … Entsprechend groß ist die Sehnsucht nach der Schönheit des ersten Baus, während zum zweiten Bau und dessen ganz andersartiger Schönheit meiner Wahrnehmung nach nur wenige der Menschen, die vehement auf dem Begriff ‹anthroposophische Kunst› bestehen, ein ebenso intensives Verhältnis pflegen. Dabei hat Rudolf Steiner schon während der Bauzeit des Ersten Goetheanum öfters betont, dass er es ein nächstes Mal ganz anders machen würde und ein drittes Mal wieder ganz anders.

Die Kunst von Rudolf Steiner selbst ist sicherlich ziemlich einzigartig, sowohl was die Tiefe seiner Quellen, aus denen er geschöpft hat, betrifft als auch in seiner Möglichkeit, Metamorphosen zu vollziehen. Beides fehlt mir aber bei vielem von dem, was gemeinhin unter ‹anthroposophischer Kunst› läuft; es erschöpft sich oft im bloßen Nachvollzug, ohne dass erkennbar wird, dass die Quellen des Schaffens ganz individuell errungen sind. Darauf macht ja auch der von mir zitierte Peer de Smit aufmerksam. Problematisch wird es vor allem dann, wenn ein Maler wie Hannes Weigert, der sich intensiv mit Steiners künstlerischem Schaffen auseinandersetzt, intensiv Steiners Skizzen studiert, in seinen eigenen Gestaltungen aber eigenständige Wege geht, vielen als unanthroposophisch gilt. Ein Paradigmenwechsel im Sinne Steiners kann ja nur ein individuell in Geistesgegenwart errungener sein und er muss immer wieder neu vollzogen werden und so auch zu immer wieder neuen Gestaltungen führen. Der Begriff ‹anthroposophische Kunst› dagegen verleitet meines Erachtens geradezu zu Tradierungen, setzt mehr auf den Wiedererkennungseffekt als auf den von Heide Nixdorff angesprochenen Schönheitssinn. STEPHAN STOCKMAR


Der Artikel von Stephan Stockmar in Goetheanum› Nr. 47/2018 können Sie hier lesen.

Titelbild: Gerhard Wendland, Ohne Titel, Radierung, 1964

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