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Zuschrift «Scheitern als Chance»

Zuschrift von Rainer Rappmann zu ‹1968› in ‹Goetheanum› Nr. 44/2018.


Mit Interesse habe ich die Ausführungen der verschiedenen Autoren über die 68er-Generation wahrgenommen, auch wenn ich selbst – als später 1950er – zu einer Nachzüglergeneration gehöre. Im ersten Beitrag von Ruedi Bind wird gleich die unkonventionelle Basler ‹Anthro-Szene› genannt, in der u. a. Wilfried Heidt aktiv war, der 1971 mit weiteren Protagonisten das Internationale Kulturzentrum Achberg begründete. Eben dieses – kurz ‹Inka› genannte – Projekt veranstaltete seit 1973 die Jahreskongresse ‹Dritter Weg›, zu denen nicht nur ‹unorthodoxe› Anthroposophen, sondern auch die unterschiedlichsten ‹Ausläufer› der 68er eingeladen waren und auch kamen. (1)

In diesem Zusammenhang möchte ich auf zwei Fragestellungen eingehen, die mir beim Studium der Beiträge auffielen:

Rainer Patzlaff erwähnt in seinem Beitrag über Rudi Dutschke, dass er sich im SDS der Methoden von Lenin bedient habe. Das mag – oberflächlich betrachtet – auch so gewesen sein. Wir wissen jedoch von einem weiteren Achberg-Gründer, Peter Schilinski, dass sich Dutschke auch für die Idee der Dreigliederung interessierte. Schilinski hatte bereits 1968 in seinen ‹Witthüs›-Teestuben auf Sylt einen Speech-in organisiert und Dutschke gar ein erbetenes Exemplar der ‹Kernpunkte› überlassen. Gretchen Dutschke berichtet darüber. (2) Auch zu weiteren Achbergern, z. B. Heidt und Beuys – wobei Letzterer ihn zu einem Beitrag auf der ‹documenta› 1977 nach Kassel einlud – hatte Dutschke intensive Kontakte. Als er an Weihnachten 1979 an den Spätfolgen seines Niederschusses starb, habe ich mit Beuys ein Interview geführt, um diesen – vor allem auch persönlichen – Wirkenszusammenhang nachzuzeichnen. (Rappmann (Hrsg.): ‹Denker, Künstler, Revolutionäre›) (3)

Man mag über Dutschke denken, wie man will. Sicher scheint mir jedoch, dass Rudi gerade dabei war, den marxistisch-leninistischen Zusammenhang hinter sich zu lassen, als ihn der Tod ereilte (vgl. Mitgründung der Grünen und gemeinsamer Europa-Wahlkampf mit Joseph Beuys 1979).

 


Joseph Beuys und Peter Schilinski, Mitgründer Witthüs-Teestuben, Sylt und Internationales Kulturzentrum Achberg

Joseph Beuys und Peter Schilinski, Mitgründer Witthüs-Teestuben, Sylt und Internationales Kulturzentrum Achberg

 

Die zweite Erörterung zu der Betrachtung der 68er ist eine sehr grundsätzliche: Wie geht man mit dem Problem von ‹Theorie und Praxis› um? Jeder, der sich schon einmal im Kraftfeld einer großen Idee bewegt hat – wie es auch die Dreigliederung zweifelsfrei ist –, wird bemerkt haben, dass es ‹in Gedanken› keine Schranken gibt, wohl aber in der persönlichen Umsetzung – insbesondere gemeinsam mit anderen Menschen. Ebenso ist es auch den Achbergern ergangen, die sich bereits 1974 in verschiedene Gruppen aufspalteten.

Ich selbst habe – in Nachfolge der methodischen Ansätze von Joseph Beuys – versucht, einen künstlerischen Weg zu gehen. In jedem Fall sind wir allesamt gescheitert: die 68er und die Nach-68er – gemessen an den großen Zielen und vor allem den Aufgaben unserer Zeit. Jedoch: «Scheitern als Chance» (Schlingensief)! Jedes Scheitern birgt den Keim für ein Wiederauferstehen. Man sollte immer wieder versuchen, besser zu werden – und warum nicht im «Marsch durch die Institutionen» (Joschka Fischer)? Als Beispiel solcher Versuche mag unser damaliges Projekt der Gründung der grünen Partei gelten, um im Parlament eine andere Stimme zur Geltung zu bringen. Gerade heute erleben wir zeitnah, wie sich Die Grünen bemühen, sich neu zu finden, neu aufzustellen, nachdem ihr Wirken bis hinein in die Regierung nicht von großen Ideen begleitet war. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht beurteilen, ob dieses Bemühen von Erfolg gekrönt sein wird. Aber es ist doch einen Versuch wert: «Wer ewig strebend sich bemüht …» (‹Faust›, Goethe).

Mir scheint, dass es gar keine andere Möglichkeit gibt, als sich immer wieder in den lebendigen Ideenzusammenhang zu begeben und fortwährend den Versuch zu unternehmen, «evolutionär» (Michaela Glöckler) Projekte und Unternehmungen zu beginnen, die sich in der – am besten persönlichen – Praxis bewähren müssen.

Vom 26. bis 28. April 2019 feiern wir diese Idee der Dreigliederung mit allen Sinnen in Achberg im Humboldt-Haus: www.sozialeskulptur.com 


Der Artikel ‹1968› können Sie hier zurücklesen.

Titelbild: Jospeph Beuys und Rudi Duttschke

(1) Ramon Brüll/Rainer Rappmann: ‹Freiheit. Gleicheit, Brüderlichkeit. Der Impuls der Dreigliederung und die Gründung des Internationalen Kulturzentrums Achberg. Erinnerungen, Reflexionen, Ausblicke›, FIU-Verlag/Info3 Verlag, 2016
(2) Gretchen Dutschke: ‹Rudi Dutschke. Wir hatten ein barbarisch schönes Leben. Eine Biografie›, KiWi-Paperback, 1996
(3) Rainer Rappmann (Hrsg.): ‹Denker, Künstler, Revolutionäre. Beuys, Dutschke, Schilinksi, Schmundt. Vier Leben für Freiheit, Demokratie und Sozialismus›, , FIU-Verlag, 2013

Fotos aus dem Achberger Beuys-Archiv des Autors: www.sozialeskulptur.com

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