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Hörend sprechend werden

Schweigend sitze ich mit 50 anderen Menschen in einem Raum, ohne dass es unangenehm oder gar peinlich ist. Noch nie habe ich so etwas erlebt! Wir begehen zum achten Mal die Tagung der Assoziative drei zu eins mit einem Thema, das zeitgemäßer nicht sein könnte: (Zu-)Hören. Rückblick auf die Silvestertagung einer engagierten Jugend.


Hören kommt aus der Stille, einem geheimnisvollen und äußerst potenten Zustand. Sie ist eine Art Gefäß, einer Empfängnisschale gleich, aus der sich das (Zu-)Hören nährt. Woher kommt das, was schließlich ausgesprochen wird? Wo befindet sich der Geburtspunkt eines Gedankens? Und in welcher Sprache drückt sich dieser aus?

Es wird erzählt, dass König Friedrich II. bereits Experimente mit Neugeborenen durchführte, um aus erster Hand zu erfahren, welches die ‹Ursprache› des Menschen sei. Die Ammen hatten die strikte Anweisung, die Säuglinge ordnungsgemäß zu pflegen und zu füttern, niemals jedoch anzusprechen. Nach kurzer Zeit waren alle Babys tot. Diese Geschichte wirft die Frage auf: Ist der Mensch ohne Ansprache überhaupt überlebensfähig?

Ich muss an den ersten Satz des Johannesevangeliums denken: «Im Anfang war das Wort …» Durch Gottes An-Sprache wurden Mineralien, Flora und Fauna, Wasser, Luft und Licht und schließlich auch der Mensch zum Leben erweckt. Hören und zuhören, einen Ruf vernehmen, sich be-rufen fühlen haben demzufolge eine ausdrücklich vitalisierende Wirkung! Für mich stellt sich die Frage, wie auch ich als Mensch zu dieser geistig-göttlichen Qualität eines Ansprechens gelange, die Leben schafft. Wie kann ich durch mein Sprechen zum Wegbereiter für Entwicklung werden? Wie kann ich so zuhören, dass ich meinem Gegenüber das sage, was es jetzt gerade braucht? Wahrhafte Ansprache ist immer schöpferisch. Durch mein Sprechen erschaffe ich eine (neue) Realität!

Ebenso ist es um das (Zu-)Hören bestellt: «Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.» (Matthäus 18,20) Wo wahres (An-)Sprechen und (Zu-)Hören stattfindet, ist der Christus unmittelbar erfahrbar. Wie wunderbar, dass wir dafür Werkzeug sein dürfen!

Wie kann ich nicht nur ‹das Wort ergreifen› zur richtigen Zeit, sondern auch ‹das Hören ergreifen›, um in ein dienendes Handeln zu kommen? Schnell wird klar, dass (Zu-)Hören auch eine aktive Tätigkeit ist. Oder, wie Martina Maria Sam es in ihrem Vortrag erklärte: «Zuhören ist Mit-Tun! Durch mein Zuhören kommt der oder die andere zu einer Lösung, nicht durch meinen Rat.» Weiter fuhr sie fort, dass man, um richtig zuhören zu können, «zuerst etwas von sich selbst zurückdrängen, ja, gewissermaßen opfern» müsse. Aus diesen Überlegungen bilden sich für mich folgende Fähigkeiten heraus, derer wir so dringend bedürfen: ‹Hörendes Sprechen› und ‹Sprechendes Hören›! Hörendes Sprechen könnte bedeuten: Ich höre, bevor und während ich spreche, was jetzt gerade – durch mich – gesagt werden soll oder will. Am Nachklang des Gesprochenen prüfe ich, ob mir dies gelungen ist.

Sprechendes Hören könnte demnach sein: Ich höre so selbstlos zu, dass mein Zuhören zu meinem Gegenüber in Stille zu sprechen beginnt. Es wird so zu einer eigenen Sprache. Dies gelingt, wenn ich mich mit meinem ganzen Mensch-sein an das Gesprochene hingebe: Ich werde zum Geburtshelfer oder zur Geburtshelferin des fremden Wollens. Ein Wunsch wächst in mir heran: Ich möchte so zu hören vermögen, dass der Himmel durch mich sprechen kann; ich möchte so zu sprechen vermögen, dass die Erde durch mich hören kann. Ich muss bereit sein, auf etwas anderes, Höheres zu hören als (nur) auf mein Ego. Wie kann ich das üben? Ein Satz einer Tagungsteilnehmerin blieb bei mir hängen: «Nicht hören mit dem Ziel zu sprechen, sondern mit dem Ziel zu hören.» Um hören zu können, muss ich also hören wollen. Hören als Inbegriff einer neuen Willensschulung? Es lohnt, dass wir uns auf den Weg machen, denn «wenn man in einer Gruppe wirklich übt, sich gegenseitig zuzuhören, dann kann die Gruppe plötzlich für die geistige Welt interessant sein», gibt Harald Jordan, Ingenieur und Dozent für Geomantie, zu bedenken. Er weist darauf hin, dass die neue Form des Miteinanders das Hinhören sein wird, nicht mehr das viele Sprechen.

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