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Die Frage sollte anders lauten …

Aus dem Podiumsgespräch ‹Gibt es anthroposophische Kunst?› auf der Verkaufsausstellung der Sektion für Bildende Künste am 8. Dezember 2018


Reinhold Fäth Gibt es anthroposophische Kunst? Die Antwort ist ganz einfach: Na klar. Vor gut hundert Jahren war es Rudolf Steiner, der sein Kunstschaffen ‹anthroposophische Kunst› genannt hat, wie es vor hundert Jahren den Künstler Filippo Tommaso Marinetti gab, der hat seine Kunst ‹futuristische Kunst› genannt.

Roland Halfen Statt der Frage ‹Was ist Kunst?› lohnt es sich mehr, die Frage zu stellen, ‹Wie ist Kunst?›. Meine Erfahrung ist, dass man der Kunst manchmal mit dem Intellekt näherkommt, wenn man paradox spricht. Um die Wirklichkeit zu fassen, ist es manchmal hilfreich, paradox zu fragen: ‹Gibt es anthroposophische Kunst und wenn ja, warum nicht?›

Stefan Stockmar Mir fällt auf, dass dieser Begriff ‹anthroposophische Kunst› sehr stark angelehnt ist an alles das, was vom Ersten Goetheanum seinen Ausgang genommen hat, sich auf dessen Formenschatz bezieht. Die radikale Metamorphose, die Rudolf Steiner mit dem Zweiten Goetheanum vollzogen hat, war damals sicher für viele kaum nachvollziehbar. Ich frage manchmal: ‹Wenn man nicht wüsste, dass das Zweite Goetheanum von Steiner wäre, würde man es mit dem Ersten Goetheanum dennoch unter einen Begriff fassen?›

Claudia Schürmann Seit den 70er-Jahren hat sich die Auseinandersetzung mit dem Kunstgegenstand radikal gewandelt. Die Kunst entgrenzt sich, verliert ihren Objektcharakter und lässt sich kaum einzelnen Stilen zuordnen. Sie wird zum Instrument, um den ganzen Menschen zu verlebendigen.

Heike Nixdorf Mir geht es weniger um die Begrifflichkeit von Kunststilen, als vielmehr um die Frage, wie sich sogenannte anthroposophische Kunst in den Prozess des allgemeinen Kunstschaffens hineinstellt. Und, was macht ein Kunstwerk, aus menschlichem Geist geschaffen, aus? Was erlebe ich zum Beispiel an Farbe und Form? Es sind die zunächst verborgenen Qualitäten des ‹Lebenspendenden› und ‹Seelenbegnadenden›, die mich berühren und im Menschen und in der Welt etwas in Schwingung versetzen.

John Ermel In der Architektur scheint mir der Unterschied, den anthroposophische Kunst ausmacht, am augenfälligsten zu sein. Das Erste und das Zweite Goetheanum haben ein Alleinstellungsmerkmal, sodass man sie in keine Schublade stecken kann. Unabhängig von der plastischen und malerischen Gestaltung ist die Raumform besonders und lässt sich in die Kunstgeschichte nicht einordnen und fordert eine eigene Kategorie.

Jasminka Bogdanovic Könnte es eine anthroposophische Kunst geben, ohne dass man sie als prozessorientierte Haltung begreift – Haltung, die im Voraus keine festgelegten, wiedererkennbaren Stilmerkmalen mit sich zieht? Sie ist eine höchst situativ-individuelle, in intimem Austausch mit der Welt, deutungsoffene Kunst, welche den Mut zur Wahrhaftigkeit und die Unausweichlichkeit dem Schöpferischen gegenüber beinhaltet. Je individueller ihr Ausdruck, desto menschheitlicher ihre Wirkung. Ob sie sich ereignet ist stets offen.


Foto: Duilio Martins

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