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Verstehen ohne Worte

Das sozialkünstlerische Ereignis der ‹Mysteriendramen› vom 21. bis 25. Juli brachte viel Freude, Begegnungswillen und Bereicherung ans Goetheanum. Es gab über 250 aktive Tagungsgestalter aus aller Welt. Mit den Gästen, die zu den Aufführungen kamen, waren es bis 450 Menschen.


In zusammenführenden gemeinsamen Suchbewegungen verständigten sich Menschen von unterschiedlichstem kulturellem Kontext über ihre Auseinandersetzung mit den Dramen. Ohne Übersetzungsnotwendigkeit wehte aus dem Tun heraus die Sprache der Welt und mit ihr alles zutiefst Menschliche, das in den vier Werken gefunden werden kann. Ein Rückblick mit Stefan Hasler und Silke Kollewijn aus der Sektion für Redende und Musizierende Künste.

Was war neu bei dieser Tagung?

Stefan Hasler Es war einfach phänomenal, zu merken, was es macht, wenn über 200 Menschen in ihrem tätigen Auseinandersetzen mit den Dramen – was etwas ganz anderes ist, als darüber zu sprechen – sich untereinander austauschen. Im klassischen Aufführungsformat bin ich Zuschauer und schaue etwas an. Dann wird mir erklärt, was die Figuren sind, und ich sehe, ob ich etwas damit anfangen kann. Jetzt war es umgekehrt. Es kamen Menschen, die mir mit Tränen um den Hals fielen und sagten, sie seien seit 40 Jahren Gast im Goetheanum und nun hätten sie Anteil an der Sache. Sie hatten das nicht erwartet und waren davon sehr berührt. So ging es, glaube ich, allen. Es war ein Erlebnis von ‹unser Goetheanum›. Es war Arbeit am geistigen Goetheanum.

Silke Kollewijn Das Wahrnehmen der anderen, wie sie die Szenen so verschieden oder ähnlich auf die Bühne bringen, war ein wesentlicher Punkt der Tagung: aus dem Eigenen herauszutreten und zu schauen, wer da alles noch ist und wer wie arbeitet. Man merkt, dass man, sei es in Japan oder Budapest, an den gleichen Fragen dran ist, Fragen, die auf der Bühne Leben bekommen.

Hasler Es gab neunzigminütige Aufführungen auf Schwedisch und Japanisch, bei denen niemand im Saal etwas wörtlich verstand. Weil man sich den tiefsten Themen der Menschen zuwandte, waren diese Aufführungen geprägt von tätiger Hingabe und echtem Interesse. Wir haben uns gegenseitig kennen- und schätzen gelernt.

Wie war die gemeinsame Arbeit?

Kollewijn In den meisten der 20 Workshops wurde viel geübt. Es kam zu einer Auseinandersetzung mit allen Rollengestalten, mit konkreten Fragen: Wie spreche ich in der geistigen Welt, wie in der physischen Welt? Wie gehe ich mit der Rolle des Ahriman um, damit ich seine Kräfte ausgleichen kann? Nach den Aufführungen kamen die Tagungsteilnehmer untereinander immer mehr ins angeregte und direkte Gespräch.

Hasler Bei einer Gesprächsrunde haben sich alle Ahrimans, Luzifers, Astrids usw. in Gruppen getroffen, über das ganze Haus verteilt. Sie waren so glücklich über diesen Austausch. Das Hauptforum war die Art des gegenseitigen Zuhörens. Wir erlebten bei Aufführungen Szenen, zum Beispiel mit Frau Balde, auf Italienisch und direkt danach auf Holländisch, am Tag vorher auf Ungarisch. Niemand fing an zu vergleichen, sondern jeder respektierte und sah und war bereichert.

Kollewijn Die 15 Mysteriendramen-Ensembles brachten ihre Sprache, ihre Fantasie in der Darstellung und ihre Hingabe an die Sache mit und bildeten somit Welt-Goetheanum.

Hasler Jeder bringt sein Goetheanum mit. Es ist längst Welt-Goe­theanum. Aber wir können dieses Welt-Goetheanum nur werden, wenn wir diese Prozesse machen: wenn ich mich vorbereite, etwas mitbringe, gesehen und erkannt werde, Respekt habe, Interesse zeige, wahrgenommen werde, eine Spiegelung bekomme, selbst sehe und erkenne. Die Menschen kamen nicht nur als Individualitäten, sondern auch als karmisch verbundene Gruppe, und sie kamen dann mit einer noch größeren Gemeinschaft zusammen. Sie gehen nach Hause mit völlig anderen Fragestellungen. Jeder hat etwas für sich mitgenommen und jeder hat das Bewusstsein für die anderen. Das ist die Hauptsache. Du bist als Mensch nicht allein und auch als Gruppe nicht. Dadurch entsteht ein völlig anderes Tagungsverhalten.

Wie haben die ‹Mysteriendramen› gewirkt?

Kollewijn Die Dramen machen immer etwas mit einem und die Menschen spüren, dass diese sich durch die Erarbeitung mit dem persönlichen Entwicklungsweg verbinden. Und die Gespräche untereinander führten unmittelbar zu den zentralsten Fragen, die jeder an die Dramen hat. Am liebsten wäre man mit allen ins Gespräch gekommen.

Hasler Im Sozialen war zu merken, dass wir alle Suchende sind. Man hat gesehen, was jemand sucht, und nicht, was jemand kann. Das hat überzeugt. Ob Laie oder Profi, ob jung oder alt, das ist egal, wenn du an den Fragen dran bist. Zu bemerken war noch, dass der Zugang immer durch eine gewisse Rolle kommt. Wenn einer Benediktus spielt, so erlebt er alles durch Benediktus und tauscht sich von daher kommend aus.

Ein Blick in die Zukunft?

Kollewijn Die Menschen sind mit Begeisterung und großer Dankbarkeit für das aneinander Erlebte nach Hause gegangen. Sie werden an den Dramen mit belebter Intensität weiterüben. Ich bin freudig gespannt, zu erfahren, was sich wo und wie weiterentwickeln wird.

Hasler Es wurde der Wunsch geäußert, dass man sich wiedersieht. Es ist großartig, mit diesem Wunsch aufzuhören. Damit kommen wir weiter. Es war ein einmaliges Ereignis, vielleicht ein Beginn.


Gespräch und Foto: Jonas Lismont

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