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Durch eigene Immunität die älteren Menschen schützen

Die Klinik Havelhöhe hat als eines der ersten Krankenhäuser in Berlin eine Corona-Ambulanz für Covid-19-Patienten eingerichtet. Wir sprachen Mitte März mit dem Ärztlichen Leiter Harald Matthes, als deutschlandweit noch weniger als 4000 Fällen gemeldet waren.


Wie ist aktuell die Situation in Berlin?

Harald Matthes: Wir sind eine von sechs Kliniken, die nun Patienten speziell in einer separaten Corona-Ambulanz auf das Virus testen und gegebenenfalls behandeln. Es gibt einen enormen Ansturm von besorgten Menschen. Wir haben uns deshalb dazu entschlossen, die Patienten in einem eigenen, abgesonderten Haus auf dem Gelände ambulant zu versorgen, damit keine weitere Ansteckung droht. In den Abendnachrichten der Tagesschau wurde diese Ambulanz präsentiert. Außerdem haben wir eine Hotline mit vier bis sechs Leitungen eingerichtet, wo wir besorgte Menschen in einem ersten Gespräch beraten und dann gegebenenfalls bitten, sich in der Corona-Ambulanz testen zu lassen. Wir können nach der rki-Richtlinie nur Menschen, die bereits Symptome zeigen, auf das Virus testen, sodass Menschen, die vielleicht aus Südtirol kommen oder mit Infizierten in Kontakt waren und sich nur absichern wollen, ob sie gesund sind, erst gar nicht kommen brauchen. In andere Kliniken drängen all diese vielen Fälle, die etwa 90 Prozent der Anfragen ausmachen, und verstopfen so die Rettungsstellen und den Akutbereich. Diese Vorselektion per Telefonhotline hat sich als sehr hilfreich herausgestellt.

Nehmen die Fälle zu?

Am vergangenen Montag hatten wir 130 Patienten, von denen wir 54 getestet haben. An der Charité waren es 100. Am zweiten Tag meldeten sich 322, von denen nur 65 in die Ambulanz kamen. Durch die Vorgespräche vermeiden wir jede Form von Tumult und es sammeln sich nicht alle Menschen in den Vorräumen und können sich womöglich noch anstecken. Täglich treffen wir uns im Krisenstab, und es zeigt sich, dass wir durch die vorgeschaltete Beratungshotline effektiv behandeln können. Alle Patienten, die wir positiv testen, werden dann unter Quarantäne gesetzt und jeweils alle Sozialkontakte der vergangenen vier bis sieben Tage abgefragt. Das sind durchschnittlich dann 30 Menschen, die ebenfalls in Quarantäne müssen. In der Corona-Ambulanz können wir diesen Ansturm bisher gut bewältigen. Schwieriger steht es um die Berliner Laborkapazität. Am Anfang bekamen wir bei den Tests nach vier bis acht Stunden Bescheid, jetzt müssen wir schon 24 Stunden und länger auf die Ergebnisse warten.

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Wir sollten vom pathogenetischen zum salutogenetischen Konzept übergehen. Aus dieser in der Anthroposophischen Medizin sehr vertrauten Perspektive ist es ganz gut, wenn sich zunächst die jüngeren Menschen anstecken, um so eine Herdenimmunität aufzubauen und damit letztendlich die älteren Menschen zu schützen.

Für Klinikpersonal mit ungeschütztem Direktkontakt wurden in Berlin die Quarantänen ausgesetzt und entsprechende Mitarbeitende müssen nunmehr ständig einen geeigneten Mundschutz tragen. Solche Mitarbeitende werden dann am ersten, fünften und zehnten Tag auf eine mögliche Infektion oder bei Symptomatik getestet. So können wir den Betrieb gut aufrechterhalten.

Wie werden die nächsten Wochen aussehen?

Die Zahl der Infizierten wird nun weiter exponentiell wachsen. Es geht dabei eigentlich nicht darum, die Ausbreitung zu verhindern. Denn, wie gesagt: Wir können wegen der begrenzten Kapazitäten nur Menschen testen, die bereits Symptome zeigen. Nun sind aber 60 bis 80 Prozent der Infizierten praktisch frei oder nur mit geringen Symptomen. Die erfassen wir also gar nicht. Das bedeutet, dass die Ausbreitung weiter stark zunimmt. Von allen positiv auf Coronavirus Getesteten zeigen ca. 14 bis 15 Prozent stärkere Symptome und 4 bis 6 Prozent müssen stationär behandelt werden, weil sie Atemnot haben und eine Lungenentzündung bekommen können. 1,7 bis 2,5 Prozent aller Infizierten brauchen dabei ein Beatmungsbett. Während die Patienten bei einer bakteriellen Lungenentzündung durchschnittlich 5 bis 7 Tage am Beatmungsgerät bleiben müssen, sind es bei der Corona-Infektion doppelt bis dreimal so viele Tage. Hier entstehen in der nächsten Zukunft die Engpässe. Im Klinikum Havelhöhe haben wir unsere Beatmungskapazität verdoppelt und können sie schlussendlich auch noch auf das Dreifache steigern. Das Chaos in Italien hing mit dem Mangel an Beatmungsbetten zusammen. Gerade kleine Krankenhäuser haben hier nur geringe Kapazitäten. Das ließ in Italien die Sterblichkeit tragisch nach oben schnellen.

Was sollte jetzt geschehen?

Wir müssen schnellstens in höhere Beatmungskapazitäten investieren. Das scheint mir jetzt wichtiger zu sein, als betroffenen Wirtschaftszweigen unter die Arme zu greifen. Wir sehen, dass selbst drastische Maßnahmen die Ausbreitung von Covid 19 nicht verhindern können. Das gesamte soziale Leben wird nun unterbunden. Auch die Grenze von 1000 Menschen bei Versammlungen ist eine abstrakte Größe, denn 50 Menschen in einem schwach gelüfteten Raum stecken sich eher an als 1000 Menschen in genügendem Abstand bei Freiluft in den Stadien. Solche allgemeinen Zahlenlimite sind wenig sinnvoll. Auch eine Quarantäne, wie jetzt in Italien für ein ganzes Land, erscheint hier mehr als Aktionismus denn als wirkliches Krisenmanagement. Die Infektionen werden auch dort weiter steigen. Wir wissen ja, dass Kinder und junge Menschen nur eine Sterblichkeit von 0,02 Prozent zeigen. Erst im Alter wird das Virus gefährlich, also sollte hier unsere ganze Aufmerksamkeit liegen. Das nennt man ein risikostratifiziertes Vorgehen. Vergessen wir nicht: Einen Impfstoff wird es frühestens in einem Jahr geben, sodass sich die Pandemie erst dann verliert, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung durch die Krankheit gegangen sind und dadurch eine Immunität aufgebaut haben. Es geht also jetzt darum, die älteren Menschen und diejenigen, die sich um sie kümmern, mit Schutzmasken zu versorgen und dass möglichst viele jüngere Menschen immun gegen den Virus werden und wir so die notwendige Herdenimmunität von >70 Prozent erreichen. Hier finde ich die jetzige Strategie, Kindergärten und Schulen zu schließen, kontraproduktiv. Eine ‹risikoadaptierte Stratifizierung› sollte sich ganz auf die älteren Menschen und deren Schutz beziehen.

Wie kommt es zu diesen Entscheidungen?

Die konventionelle Medizin lässt sich weiterhin überwiegend von der Pathogenese leiten: Was uns krank macht, also das Virus, muss vernichtet werden. Aus salutogenetischer Perspektive geht es darum, Immunität gegenüber der Krankheit zu entwickeln. Wir sollten vom pathogenetischen zum salutogenetischen Konzept übergehen. Aus dieser in der Anthroposophischen Medizin sehr vertrauten Perspektive ist es ganz gut, wenn sich zunächst die jüngeren Menschen anstecken, um so eine Herdenimmunität aufzubauen und damit letztendlich die älteren Menschen zu schützen. Was in mancher Impfdiskussion vorgebracht wurde, das ist auch hier der Schlüssel. Die Panikmache – auch medial – hat dabei ein solches Maß erreicht, dass selbst junge Menschen, die in den meisten Fällen überhaupt nicht bemerken, wenn sie infiziert sind, ängstlich bis hysterisch werden. Die Schulmedizin, die sich selbst für so rational und nüchtern hält, reagiert hier panisch und emotional – das hat schon eine Ironie in sich. Mich überrascht es nicht, dass die Mitarbeitenden bei uns in der Klinik auch bei dieser hohen Belastung doch eine gute, positive Stimmung behalten. Sie sind mit dem salutogenetischen und dem pathogenetischen Menschenbild gleichermaßen vertraut, und das hilft, hier die Lage ernst zu nehmen und zugleich zuversichtlich und stark zu bleiben.


Grafik: Fabian Roschka

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